Und ein Museum für alle

Von den Ausstellungen und Museen, die ich 2012 besucht habe, hat mich eines besonders langanhaltend beeindruckt. Ich konnte zunächst gar nicht genau benennen warum. Sah ich mir die Fotos an, hätte ich nicht behaupten können, dass das Ausstellungsmobiliar sonderlich innovativ oder die Grafik extrem auffällig gewesen wäre. Wahrscheinlich hat dies damit zu tun, dass ich von einem Museum und seiner Dauerausstellung spreche. Eine permanente Ausstellung ist darauf ausgelegt, nicht nur eine Ausstellungssaison gut aussehen und funktionieren zu müssen, sondern mitunter viele Jahre. Dementsprechend ist sie mit möglichst langlebigen Materialien, solider Technik und weniger zeitgeistigen Design ausgestattet.

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Ich spreche vom National Museum of Scotland in Edinburgh. Ein Nationalmuseum, welches in Wirklichkeit aus 5 Museen und 3 permanenten Ausstellungsbereichen unter einem Dach besteht: Die Halle der großen Galerie ist das Zentrum des Museums. Sie wird von einer Metallkonstruktion getragen, hell bricht das Licht durch das gläserne Dach. Begriffe, wie Museumspalast fallen einem sofort ein. Man kann in ihr flanieren, sich kurz ausruhen oder gar ohne Ausstellungsbesuch die Zeit totschlagen. Als wir zu Besuch waren, gab es mittags Konzerte, die zum Edinburgh Festival gehörten. Die große Galerie beheimatet im Erdgeschoss auch Objekte: singuläre Glanzstücke der Sammlung sind hier zu sehen.

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In dieser zentralen Halle sind in mehrstöckigen Emporen, die Objektcollagen der Fenster zur Welt untergebracht. In der Kombination vom Betrachten der Objekte und Tasten sowie Lesen am Bildschirm, wo sich vertiefende Informationen zu den Objekten verbergen, sind diese Fenster für Besucherinnen und Besucher individuell erfahrbar. Auch hier sind es nicht das Design oder die Benutzerfreundlichkeit die im Übermaß beeindrucken würden, aber die Kombination von ästhetisierter Objektzusammenstellung mit der Wahlfreiheit der Vertiefung bereitet einfach Freude. Von hier verzweigt sich der Weg in die verschiedenen thematischen Ausrichtungen und weiteren Hallen mit mehrstöckigen Emporen. Mittig führt der Weg im Erdgeschoss in den anschließenden Bereich der Entdeckungen, welcher Erfindungen sowie technische oder kunsthandwerkliche Innovationen aus Schottland beinhaltet. Über diesen Weg kommt man auch zum Mitmachbereich Imagine für die ganz kleinen Kinder. Dieses Museum richtet sich an alle: von ganz, ganz kleinen bis zu den älteren Museumsbesuchern.

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Wer öfters in Museen unterwegs ist, kennt die Diskrepanz zwischen der Ausgestaltung der Museumsräume und Besuchern, die mit der ganzen Familie, insbesondere mit jungen Kindern gekommen sind. Selbst die Mitmach-Bereiche, die es vermehrt gibt, richten sich selten an Kinder unter sechs Jahren. Im National Museum of Scotland wurde versucht, einen Raum für frühkindliche Erfahrungen zu kreieren, der rege genutzt wird. Dazu noch kostenfrei. Die Mitmach-Räume gehören zur Dauerausstellung und sind wie diese kostenfrei zu nutzen.

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Mitmach-Bereiche für Kinder gibt es in diesem Museum gleich mehrere. Besonders begeistert habe ich mich für den, der in der Halle mit den naturkundlichen Themen untergebracht ist. Diese stellt sich konträr zu der leeren und lichten Eingangshalle dar. Das Glasdach ist abgedunkelt. In der Mitte der Halle sind in Fülle präpariertes Meeres- und Flußgetier gehängt, als würden sie sich in einem unsichtbaren Gewässer tummeln. Unten am Boden sind die Landtiere aufgestellt. Eigentlich sind die Vitrinen in den Seitengalerien sogar ein wenig hässlich, jedoch der Eindruck der Fülle lässt die Möbel im direkten Gegenüber in den Hintergrund rücken. Meine Lieblingsstation im Abenteuerplaneten betitelten Kinderbereich ist die Spielstation Dino dig, in die man wie in einen Sandkasten hineinsteigt und prähistorischen Knochen, in Paläontologen-Manier von Sand befreit.

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Ein komplettes Technik- und Kommunikationsmuseum findet sich in der Halle Wissenschaft und Technik. Technik und Kommunikation sind meine persönlichen Museumsthemen, dementsprechend habe ich mich hier besonders wohl gefühlt. Es ist immer spannend zu vergleichen, welche nationalen Narationen sich in diesen Bereichen entspinnen. Allein an der Erfindung und Entwicklung von Telefon, Fernsehen und Computern kann man je nach Land die unterschiedlichsten nationalen Erfinder neu kennenlernen.

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Was mir hier am Besten gefiel, so wenig spektakulär es auf den ersten Blick auch wirkt, ist diese Gegenüberstellung weiblicher Arbeiterinnen der frühen Computerindustrie und männlicher Computerexperten der Bell Laboratories. Die Bilder sind bis hin zum Ausschnitt und Bildkomposition gespiegelt auf die Grafikwände gesetzt. Dass neben ihnen Objekte zu Amateurfunk, Marconi und frühen Computern folgen, macht diese Ecke des Museums für mich zu einem thematischen Zuhause.

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Die Hallen zu Weltkulturen sowie Kunst und Design habe ich aus Zeitgründen nur schnell durchschritten. Auch habe ich die Sonderausstellung komplett außer Acht gelassen. Im Schottland-Neubau ist es einzig der Bereich Schottland: Eine sich verändernde Nation den ich mir mit Muße angeschaut habe. Nicht weil ich nicht mehr sehen wollte, sondern nicht mehr konnte. Dieses Museum, welches aus Museen besteht, braucht Zeit und erschöpft, wenn man den Versuch wagt, es in Gänze zu erobern. Glücklicherweise gibt es eine wunderbare Dachterrasse mit Ausblick auf Edinburgh und mehrere Museumscafés in denen man sich erholen kann. Eines ist sicher: die Mühe lohnt sich.

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Fazit: Ich habe 2012 wunderbare Wechselausstellungen und schöne Museum gesehen, aber von der Offenheit, Familien- und Gastfreundlichkeit des National Museums of Scotland bin ich tief beeindruckt.

Der Blogpost findet im Rahmen der Blogparade des Historischen Museums Frankfurt statt, welches die spannendesten Ausstellungen 2012 suchte.

Kommentare

Sag ich doch die ganze Zeit! Auch wenn ich nicht mehr dort arbeite hat mich Deine Liebeserklärung vor Stolz zu Tränen gerührt. „…von der Offenheit, Familien- und Gastfreundlichkeit des National Museums of Scotland bin ich tief beeindruckt.“ – ist es da ein Wunder dass ich an Dauer-Heimweh leide? 😉 Danke!!

Es ist ein echtes Wohlfühlmuseum. Ich wünschte manch Museum würde sich eine Scheibe davon abschneiden.
Ich bin überzeugt, dass es leichter ist beachtenswerte Ausstellungen zu machen, die temporär Aufmerksamkeit binden. Aber in der Dauerausstellung auf hohen Niveau langfristig gut zu sein, das ist die hohe Kunst.

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