Blog-Tagung „ICH, WIR & DIE ANDEREN“
„Ich blogge, also bin ich“, so einfach könnte es sein. Doch bei dem Forum „Ich“ der Blog-Tagung im ZKMfragte man sich schon bald, welches Ich es ist, das bloggt. Und: Ist dieses Ich mit sich Selbst identisch? Peter Glaser, Vanessa Diemand, Don Alphonso alias Rainer Meyer sowie Peter Praschl nahmen Stellung in dem „Ich-Forum“ und manch einer der Vorträge war nicht nur spannend, sondern zugleich zutiefst berührend.
Die Begrüßung war schon fast zu Ende als wir ankommen, von der Seite sieht die Publikumstribüne sehr voll aus, doch das täuscht. Einzelne Plätze sind noch zu ergattern, natürlich irgendwo in der Mitte der Sitzreihen. Die Außenplätze sind – wie bei jeder Tagung – besetzt. Gerade noch hören wir, dass in Zukunft das“Museum als Content Management System der künstlerischen Art“ agieren müsse und schon wird Don Dahlmann als Moderator des Tages vorgestellt. Mittlerweile hatt sich Andrea Diener zu uns gesellt, allerdings nicht für lange, nach dem ersten Vortrag rückt sie sofort auf einen der freigewordenen Außenplätze nach. Fortan kann man sie höchstens wegen des gleichmäßigen Klackern ihrer Laptoptastatur wahrnehmen. Lifebloggen per excellence. Selten miterlebt, dass so treffend und mit so wenig Fehlern direkt gebloggt wird (hier, hier und hier) und das in ausgefeilter 10-Finger-Choreografie.
Peter Glaser hält den Eröffnungsvortrag: „5000 Jahre in 1500 Sekunden. Momente des Übergangs: Von der Demokratisierung der Unsterblichkeit zu dem Gummizellen des Geistes“. Ohne Powerpointpräsentation, direkt vorgelesen, ein bißchen leise gar, doch höchst konzentriert auf das geschriebene Wort. Er spricht davon, dass nach der ersten www-Konferenz in Genf „das veritable Online-Universum expandierte“. Holt aus bis zu den Wassernetzen und Schrift“netzen“, die gleichzeitig in Ägypten entwickelt wurden, springt dann in die Zukunft, von der er sich Dinge, wie variable Links erhofft, die sich zu unterschiedlicher Tages- oder Jahreszeiten verändern . Kehrt von seinen Themenexkursen zurück zu einer fortschreitenden Entwicklung des Internets seit Mitte der 90er Jahre, dass sich damit auch die Metaphorik änderte, dass man nun mit Datensuperhighway etwas beschrieb, was zuvor noch digitale Dörfer waren. Und dass die Firmen, die das Internet zu nutzen begannen, gleichzeitig dessen Möglichkeiten fürchteten. Links auf ihren Seiten, die die Nutzer weg führen würden, obwohl diese doch verweilen sollten: „… mit einem Klick ist der Leser weg, die geschlossenen Systeme wie AOL und Compuserve sind vorbei“ und „alles kommuniziert wie verrückt“.
Es folge der Boom des „social networking“, man wolle damit tolle Dinge machen, wolle sich finden lassen, pinne seine Steckbriefe ins Netz. Und Glaser formuliert hier sogleich seine Sorge, dass die Kinder des Web 2.0 ihre privaten Daten gedankenlos gegen „Glasperlen“ von Firmen eintauschen. Oder: die Befürchtung, dass das Freie und Offene des Internets mit niederschwelligen Diensten im Cent oder Groschenbereich untergraben werde. Zugleich: „Massenmedien werden zu Medienmassen“. „Früher kam am vormittag die Post, jetzt kommt die Post dauernd“. Die Nutzer werden immer ungeduldiger. „Moderne Ungeduld: die Welt entwickelt sich in eine Reihe von Zwischendurchs“. Diese Kurzfassungen funktionierten durchaus, sagt Glaser, nur bei Belletristik eben nicht. Sein Ausblick ist die unterschätzte Macht der Faulheit. Früher wäre Sex der Motor für alles gewesen, heute sei es Faulheit. Statt „Sex sells“, heißt es nun „Faulheit siegt“: „Wirklich faule Menschen sind ungemein fleissig, um bald wieder faul sein zu können.“
Vanessa Diemand, die hier in der Doppelrolle der Organisatorin der Tagung und Referentin auftritt, spricht über: „Blogs. Ich-Konstruktion durch Autor und Leser“. Sie steigt mit einem Selbstbildnis Rembrandts ein. Ihr Ansatz, den sie später Richtung Blog ausweiten wird, ist, dass der Betrachter versuche, den Mensch hinter der Leinwand zu entdecken. Obwohl er eine bewußte Bildkonstruktion vor sich habe, würde beim Betrachter ein Bedürfnis nach Intimität befriedigt. Damit wechselt sie über zum „Ich im Blog“. Es gäbe eine Orientierung am realweltlichen Ich. Der Blog-Autor „konstruiert über Titel, Text, Fotos, Videos, amazon-Wunschlisten, Blogroll, Titel des Blogs, Benutzernamen etc. ein Online-Ich“, so steht es auf der Beamer-Wand, daraus schlußfolgert Diemand im Vortrag: „Diese Auswahl zieht wieder eine Fülle der Assoziationen, Zuschreibungen auf Seite der Leser nach sich.“ Der Leser bekäme das Gefühl es mit einer realen Person zu tun zu haben, statt einer erfundenen Rolle. Das gelänge, da bzw. wenn die Sprache nah am (vermeintlichen ausgemachten) Ich bliebe. Auf der Beamerwand steht dazu: „Idealtypische Konstruktion des Blogger-Ich aufbauend auf der Nähe und Privatheit einer ‚Hinterbühnendarstellung‘ (Goffmann 1984) und deren Identifikationspotential“. Genau hier läge das Problem, wenn Blogger plötzlich in ihrem Blog Produkte bewerben. Nicht dass das verwerflich wäre, nur dem Leser werde vorgeführt, dass er es mit einer steuerbaren Rolle zu tun habe, die Wahrnehmung des Authentischen werde dadurch aufgebrochen. Das Blog sei nun nicht nicht mehr „Wohnung“ (Johnny Haeusler) oder „Wohnzimmer“ (Don Alphonso), sondern (hier nennt sie Spreeblick als Beispiel) würde zum Büro oder zur Agentur. Sehr symphatisch wirkt die persönliche Anmerkung am Ende, dass es ein komisches Gefühl sei, Leute aus ihrer „Hinterbühnendasein“ als reale Person kennen zu lernen.
Bei der Vorstellung, leitet Don Dahlmann mit den Worten „Don Alphonso ist ein streitbarer Charakter, aber sicherlich kein Konsensjournalist“ zu Rainer Meyer über, der passend „Don Alphonso – Aus dem Leben einer Kunstfigur“ thematisiert (mehr dazu hier). Somit tritt realweltlich Rainer Meyer zum Podium, um zu erzählen, was es mit Don Alphonso auf sich habe, dass diese Figur aus einem Radio-Comedy-Projekt mit seinen Studierenden erwachsen sei und mit der Zeit ein Eigenleben entwickelt habe, in dass er quasi hineingewachsen ist. Dieses habe vieles von Rainer Meyer, werde mit literarisierten Alltagsbeobachtungen unterfüttert, ist aber gleichzeitig ein anderer, ein streitbarer, mitunter kontroverser Charakter, während er – Rainer Meyer – von Vaterseite bestätigt, eher „konfliktscheu“ und zudem sehr gut erzogen sei. Meyer: „Don Alphonso ist ein bißchen arrogant“. Was er allerdings als Don Alphonso über Werbung und Marketingstrategien in der Blogosphäre schriebe, dass sei auch so gemeint.
Die Kunstfigur sei eine Mauer, dadurch gelänge die Literarisierung. Sie sei ein durchsichtiger „Vorhang zwischen Publikum und Bühne“. Noch bei der Tagung vor 2 Jahren hätte er gesagt, es ging bei Blogs um Authentizität, doch nach einer Umfrage auf „Blogbar“ glaube er nun, es gehe er um Literarisierung. Es ginge nich um Berichte aus der Realität, die privaten Blogbeiträge wären eher etwas wie Gleichnisse.
Schwierig würde es, wenn eine Persönlichkeit zur Marke oder zum Image werde und schließt mit dem „Vetrauen in allen Verschiebungen der Realität einen realen Kern zu sehen“.
Als letzter des Forums „Ich“ spricht Peter Praschl. Fünf Jahre habe er ein Weblog gehabt: „Manchmal so manisch, dass ich gedacht habe, es hätte mich geschrieben“. Schöne Sätze folgen. Sätze, wie: „Also schreibe ich mich ein in das Einschreibesystem“. Ja, so war das, denke ich. Es folgen die Gründe, warum einen Blogs damals interessierten. Weil man wußte, dass da etwas sei. Man wissen wollte, wohin es führt. Denn alles führt irgendwohin. All das nun komprimiert in Praschls Worten. Eine Zeitreise.
Er spricht vom dem Wissen, dass es wohl die Chance gab gelesen zu werden, aber man gar nicht gewußt hätte, wer es wirklich tat. Blogs konnten nicht viel. Schreiben konnte man. Lesen konnte man. Erst später hätte man versucht, zu verstehen, so Praschl, weil es plötzlich welche gab, die sie wahrgenommen hätten, die man aber nicht gemocht hätte. Lieber sich selbst definieren als sich definieren zu lassen. Abends sei man nach Hause gekommen und begann einfach zu schreiben: „Ich schrieb ohne zu wissen, worauf es hinaus lief“. Um andere im Netz zu treffen, „Leute, die auch da saßen und Texte atmeten“. Praschl weiter: „Man mochte die Leute, die nichts anderes waren als ein anderer Textatem nach Mitternacht“. Aber es hatte nicht ewig so weiter gehen können. Es hätte Fragen von Außen gegeben und „irgendwann mußte man antworten“, den Wissenschaftlern, den Journalisten den PR-Leuten, alle wollten systematisieren. Man wäre ja auch stolz gewesen ein „Selbstausdruck des Internets“ zu sein. Doch plötzlich tauchten biografische Angaben auf, aber: „man wollte keine Biografie sein, sondern Biografie schreiben“.
Gut sei der Freestyle daran gewesen, dass man etwas sagen konnte, ohne dass es auf etwas hinauslaufen musste. Keine Selbstvermarktung, eher eine Selbstauflösung. Jetzt fühle es sich ein wenig an, wie im Frühruhestand. Aber „das Schöne sei, dass es das immer noch gibt“ (…), es „ist eben eine leise Art zu reden“.
Danach Diskussion. Kleine Scharmützel zwischen Rainer Meyer und Peter Turi. Dass die Kunstfigur Don Alphonso mit seinen Äußerungen reale Menschen träfe, die keine Kunstfiguren seien. Übrigens ein Punkt, der – egal wie wahr ein Artikel, ein Vorwurf eines Don Alphonso sein mag – ein zu überdenkender sein sollte. So verhallte Peter Praschls Rede im Tosen der Lauten, die rechtzeitig unterbrochen wurden, zur Erleichterung des Publikums, so dass man aufbrechen konnte, um unter hin und her schwingenden Lampen des ZKM zu Mittag zu essen. Der Nachmittag ein Rauschen. Schön. Interessant. Teilweise bizarr, durchaus unterhaltsam und viel zu früh zurück nach Frankfurt.
Erstveröffentlichung auf http://tagwerke.twoday.net