Als ob sich in hundert oder zweihundert Jahren Literaturwissenschaftler alte Blogseiten anschauen, die sie in irgendein wahnsinnig fortschrittliches Medium konvertiert haben, dasitzend in Mediatheken an Lesegeräten, irgendwo im Laufe der Zeit haben sich Konvertierungsfehler eingeschlichen und vielleicht haben sich Farben verschoben, weil die Bildausgabegeräte inzwischen anders kalibriert sind, oder es gab einen Problem mit dem Schriftcode und die Umlaute sind weg, oder es gibt keine Georgia mehr, weil inzwischen Serifen so veraltet sind wie Sütterlin oder das lange S.Dann gucken die sich das an, diese großartigen Quellen für private Lebensformen im frühen 21. Jahrhundert, katalogisieren, ordnen ein, ergründen gegenseitige Einflüsse und intertextuelle Bezüge, werten das alles und schreiben vielleicht eine Habil drüber: Nicht ohne meine Katze: Weibliche Schreibformen zwischen traditionellem Rollenverständnis und informationstechnischer Fertigkeit in der Merkel-Ära. In irgendeiner Provinzstadt wird vermutlich das Deutsche Blogarchiv (DBA) gegründet, in dem Forscher in tiefen Kellerstollen unverrottbare Speichermedien lagern, alle randvoll mit Code, der sich formiert zu Schrift, Bild, Satz, Inhalt, Verweis. Was für ein Haufen krudes, kurioses Zeug.
- „Garda 7 – Giganten und Grandtouristen“ (Reisenotizen aus der Realität), 24. Mai 2007
Passend dazu ist ein aus dem Archiv gefischter Artikel der FAZ von 2004. Dort wird berichtet, dass die British Library einen Kurator für ein Digitales Archiv angestellt hat, u.a. mit Ziel E-Mail-Korrespondenzen bedeutender Persönlichkeiten zu sammeln. Der jetzige Aufruf der British Libraryrichtet sich hingegen eher an normale Internetnutzer und ihre tagtäglichen E-Mails.
Dass die Archivierungsfrage nicht einfach zu lösen sein wird (auch wenn sich in diesem Bereich derzeit einiges tut) klang schon 2004 durch:
Das Material wird in einem klimatisierten Raum mit Metalltüren gelagert, um magnetische Störungen zu verhindern. Außerdem wird es auf CD-Roms kopiert.
(…)
Die Technologie schreitet derart schnell voran, daß das bestehende Archiv Material enthält, das mangels passender Hard- und Software nicht gelesen werden kann. So besitzt die British Library ein Gerät des Kybernetikers und Klimatologen James Lovelock, zu dem das Netzkabel fehlt. Und Papierstreifen eines Computers aus den sechziger Jahren, der dem Evolutionsbiologen Bill Hamilton gehörte, können nicht entschlüsselt werden. Seltene Modelle obsoleter Computer sind deswegen ebenso gefragt wie die E-Mails von Politikern, Autoren und Wissenschaftlern, die sich die British Library für ihr Archiv erhofft.
- „E-Mail für alle“ (FAZ), 18. Oktober 2004