In der „Lebensläufe“-Ausstellung in Berlin

An der Glasfront der Akademie der Künste hängt links oben das Banner, das Gelb springt einem ins Auge, das Schwarz-Weiß Foto, welches Kempowski in einem Meer von Material zeigt, nimmt das Dominante der rahmenden Farbe gleichsam wohltuend zurück.

In der Ausstellung selbst ist Fotografieren verboten. Ich gräme mich ein bißchen, allerdings nicht allzu ernst, da ich aus sowieso den Akku meiner Digitalkamera in Frankfurt gelassen habe und mit dem unbefriedigenden Ersatz einer analogen Wegwerfkamera hantieren muß. Dem Fotografierverbot entgegen schleiche ich einmal um die Austellungsräume herum. Mehr als ein Blick von Vorne und durch den seitlichen Fensterbogen ist nicht möglich. Ich schließe die Kamera weg und tröste mich damit, dass es sowieso viel besser ist, sich ganz auf den Inhalt der Ausstellung konzentrieren zu können, anstatt mit Gedanken zur Dokumentation des Gesehenen beschäftigt zu sein.Der erste der vier Ausstellungsräume gibt sich sperrig.

Er ist verstellt mit drei großen Holzkisten in Containergröße. Innendrin – der Duft des Spanholz kitzelt in der Nase in der Nase – treffen hinter beleuchteten Glas Papiere mit persönlichen Gegenständen aufeinander. Sie umschreiben Kempowskis Bautzener Haftzeit. Warum man nach so langer Zeit immer noch das Paar Schuh von einst besitzt, das kann man sich verwundert fragen. Aber angesicht der Tatsache, dass Kempowski sich ja gerade als ausufernder Sammler bewiesen hat, wundert es kaum, dass er das Eigene ebenso sammelt, wie die Spuren anderer.

Der nächste Raum widmet sich seiner weiteren Biografie und dem Werk: Kempowski als Student, Kempowski als Dorfschullehrer und dann endlich Kempowski als Autor. Auf hölzernen Schienen im gedeckten Grau sind an der Wand Dokumente angebracht. In der Mitte des Raums stehen Tischvitrinen, in den sich die Spuren seines Lebens zu Objektteppichen verdichten.Die Inszeniereung von Kempowskis Lebenslauf gelingt aufs Beste, doch scheint es fast so, dass das Unterfangen, die Materialfülle in Gänze zu bewältigen, nicht gelingen kann. Die zwei letzten Räume, die sich dem Echolot widmen, wirken flüchtig eingerichtet. Natürlich kann man sich auf eines der Ledersofas setzen und Stunde für Stunde in das gesprochene Echolot reinhören, sich kontemplativ versenken, doch wer tut das dann auch? Wer hat die Muße auf Dauer an die nackten Wände zu blicken? Von den anderen Besuchern beobachtet zu werden, wie man Echolot hört, als wäre man eine lebendige Staffage, die die Möglichkeit illustriert, sich das Werk wahrhaftig im Ausstellungsraum erschließen zu können.

Im letzten Raum werden an den Wänden private Porträts von Unbekannten gezeigt. Vergangenheit schaut einen an und man blickt zurück, merkwürdig unberührt, weil die Dramaturgie der vollen Fotowände das Künstliche betont, man der Authentizität nicht glauben will. Das abgebildte Subjekt ertrinkt im Meer der Fotografien.
Jetzt nur nicht vergessen, den Blick in die Mitte des Raumes zu lenken, dort stehen Schubladenschränke. Diese öffnen und sich ein bißchen von der Faszination anstecken lassen, die aufkommt, wenn man mit den Überresten fremder Leben konfrontiert wird. Jede Schublade hat ein Thema – Frauen, Weihnachten, Schlesien – gefüllt mit Tagebüchern, Fotoalben, Notizen, Eintrittskarten und Briefen. Endlich. Schön.

Walter Kempowski selbst bringt es auf den Punkt, wieso er sich der Sammlung dieser Lebensdokumnet widmet (aus dem Katalog):

Wir sollten den Alten nicht den Mund zuhalten, wenn sie uns etwas erzählen wollen, und wir dürfen die tagebücher nicht in den Sperrmüll geben, denn sie sind an uns gerichtet – die Erfahrungen ganzer Generationen zu vernichten, diese Verschwendung können wir uns nicht leisten. Wir müssen uns bücken und aufheben, was nicht vergessen werden darf: es ist unsere Geschichte, die da verhandelt wird.

„Kempowskis Lebensläufe“ ist noch bis zum 15. Juli 2007 am Pariser Platz in Berlin-Mitte zu sehen. Es ist zudem ein Katalog von Dirk Hempel erschienen. Mehr hier dazu.

Erstveröffentlichung auf http://tagwerke.twoday.net

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