Von Blogs und Stöckchen
Das sind sie also wieder. Wahrscheinlich waren sie nie ganz verschwunden, sondern nur aus meinem Blickfeld geraten: Die sogenannten Blogstöckchen. Bis etwa 2008, irgendwann beginnend nach der Trackback-Integration in die Blogs, zirkulierte die Kettenbrief-Praxis des Stöckchens. Es gab Stöckchen zu allem und jeden: zu Büchern, Musik, Reisen, Kochen, Bildung und beim Auflauen der Ära (wann war das: 2009/10?) oft zu Marketingthemen. Das Stöckchen war neben der Blogroll und gegenseitigen Kommentieren eine Möglichkeit sich mit anderen Blogs zu vernetzen. Um Sympathie zu bekunden oder aus Neugier auf die anderen. Es hatte zudem den Vorteil, dass es eine Struktur für einen Blogpost bot. Auf Dauer ist es schwer, dem eigenen Anspruch zu entsprechen, regelmäßig zu Bloggen. Wer kein Stöckchen zugeworfen bekam, der konnte auf Stöckchen-Blogs zugreifen, in denen zahlreiche Stöckchen gepostet und archiviert wurden.
Nicht jeder freute sich über ein Stöckchen. Warum? Dafür gibt es gleich mehrere mögliche Gründe:
- Stöckchen erinnern an pubertäre Schülerzettelchen, die im Unterricht weitergereicht werden. Nicht jeder mag das.
- Stöckchen haben einen Kettenbrief-Charakter. Was, wenn schon alle das Stöckchen erhalten haben und man selbst weiß nicht, an wen weitergeben, bzw. wen damit belästigen
- Stöckchenposter wären keine Qualitätsblogger mit genuin authentischen Postings, dies gehörte zu einem leidenschaftlich geführten Distinktionsdiskurs, der mit Zuschreibungen des „Rattenschwanz“ und B-, C-, D-Blogs endete
- Stöckchen sind potentiell Marketingaktionen, um entweder dem Stöckchenwerfer Aufmerksamkeit zu verschaffen (Backlinkfischer) oder Themen von Marketingblogs zu verbreiten
- Stöckchen waren bald inflationär verbreitet. Es nervte.
Beginnend mit dem Twitter-Stöckchen fließen einzelne Stöckchen seit diesem Jahr wieder durch meine Leseströme. Für neue Blogger und Bloggerinnen sind alte Praxen unbekannt und werden nun ausprobiert. Gleichzeitig haben sich die Zeiten geändert. Viele Blogposts werden nicht mehr über das Blog selbst gelesen, sondern über RSS, Twitter, Facebook oder was auch immer, die Masse der Kanäle ist Legion. Wenn da nun ein Stöckchen auftaucht, kann man es – wenn es nicht interessiert – einfach ignorieren. Blogs werden heute – gefühlt – weniger von vorne bis hinten zeitsynchron mitgelesen, sondern eher punktuell angesteuert. Was nicht bedeuten, dass das nun für alle Blogs, Blogger und Blogleser gilt, denn auch hier und heute sind die Schreib- und Lesegewohnheit divers.
In Zeiten in den Blogrolls weniger Bedeutung haben, könnten Stöckchen tatsächlich eine Funktion des Austauschs und Anbindung erfüllen. Solange daraus nicht wieder eine inflationäre Praxis erwächst, kann man das durchaus ausprobieren, wenn eine Anfrage ins Haus steht.
(Übrigens steht man in einer alten Stöckchen-Tradition, wenn man zuvor lamentiert, warum man normalerweise Stöckchen doof findet und niemals mitmachen würde, es aber in diesen ganz speziellen Fall ausnahmsweise aber doch tut. Tipp: Einfach mal die Worte „Blog“ „Stöckchen“ „Ausnahmsweise“ in eine Suchmaschine reinwerfen.)
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Kommentare
[…] “Apport! Von Blogs und Stöckchen“. (01.06.2013) // @tinowa – absoluter Lesetipp zur Funktionsweise des Blogstöckchens […]
[…] Tanja Praske: KULTUR – MUSEO – TALK tinowa werkjournal: menschen – medien – museen […]
[…] Monika E. König kommt ein Stöckchen daher. Statt gleich zu Ächzen und Gründe zu suchen, warum Stöckchen nerven (die Phase habe ich mittlerweile überwunden), mache ich einfach das Beste draus. Die 10 Fragen […]