Auf der Re:publica in Berlin

Die erste „echte“ Blog-Konferenz, so hieß es im Vorfeld. Zur Re:publica kämen fast nur Blogger. Und so war es dann auch: Drei Tage voller Vorträge, Workshops, simultan bloggenden Teilnehmern und Kommentaren auf einer SMS-Wand im Vortragsraum. Drei Tage, die aber auch die Bandbreite von Weblogs verdeutlichten. Marketing-Instrument, neuer Journalismus oder doch „nur“ Online-Tagebuch? Blogger allüberall und keiner glich dem anderen.

Re:publica


„Leben im Netz“, so der Untertitel der Re:publica, dieses suggeriert erstmal eine Nähe zu unserem Ausstellungsprojekt im Museum für Kommunikation. Lebt nicht jeder „Tagebuch-Blogger“ mit seinem Blog irgendwie im Netz? Ein Online-Leben in der Art und Weise, wie Andrea Diener bei unserem Expert/innenworkshop meinte, „ihr Blog sei ihr Wohnzimmer“? Doch spätestens bei einer solchen Veranstaltung bricht jede Illusion der Homogenität zusammen. Auch wenn einem vorher durchaus klar war, dass es diese gar nicht geben konnte, jedoch nur selten bekommt man es so augenscheinlich vorgeführt. Ganz unterschiedliche Motivationen brachten 800 Blogger zusammen. So ist mir der erste Re:publica-Tag als der „Leben im Netz“-Tag, der zweite als der „Marketing“-Tag und der dritte als „Journalismus“-Tag im Gedächtnis geblieben. Aus der Fülle dessen möchte ich einige ausgewählte Vorträge, bzw. Paneldiskussionen herauspicken, die mir für unser Projekt besonders interessant scheinen.

Tag 1: Leben im Netz

Jan Schmidt begann seinen Vortrag „Mythen der Blogospäre: Wie wir bloggen“ (PDF) mit einem Vorgriff auf sein Fazit: Mit einem Plädoyer für den Long Tail. Die Blogosphäre sei vielfältig und es stelle sich die Frage, ob man überhaupt von „dem Blog“ reden könne. Wenn man das technische Format als kleinsten gemeinsamen Nenner nähme, dann würde es gehen. Es funktioniere aber nicht mehr, wenn es um die Benutzergruppe, Inhalte oder bestimmte Praxen ginge.
Drei gängige Mythen hatt sich Jan Schmidt rausgesucht:

  • Mythos 1: Blogger als Nerds („Blogger sind übergewichtig und haben Dreitagebart“). Dieser Mythos fuße auf einer Internet-Unfrage (13.000 Teilnehmer), die oft in den klassischen Medien aufgegriffen worden sei, die aber in keiner Weise representativ wäre. Es wurden nur Nutzer einer bestimmten Internet-Community befragt, die zudem alle über 18 Jahre alt gewesen seien. Die bestätigten gängige Vorurteile, die aber falsch seien. „Die Blogosphäre ist weiblich!“, so Schmidt und belegte dies sogleich mit drei seriöseren Umfrage-Ergebnissen.
  • Mythos 2: Gegenöffentlichkeit („Weblogs machen jeden zum Journalisten“). Dies sei ein Mythos der von Bloggern selbst gerne gepflegt werde. Der Blick in die „Blogcharts“ mache schnell deutlich, nicht Blogs, sondern die klassischen Medien seien immer noch Hauptreferenzquelle bei den Weblogs. Noch ist die Funktion der Gegenöffentlichkeit (zumindest in Deutschland) nicht die Wichtigste.
  • Mythos 3: Irrelevanz („99% aller Weblogs sind Müll“). Die Banalisierung von Weblogs käme nicht nur von Außen, sondern auch von Innen (klassische Schmähungen wie „Katzencontent“ oder „Strickblogs“). Grund sei die Abgrenzung nach unten („Ich mache richtiges Bloggen“). Das Teenie-Blog werde abgewertet, um den Blogger selbst aufzuwerten. (Hier zeigte Schmidt denAufmerksamkeits-Graphen, welcher die Öffentlichkeiten für die A-List und den Long Tail verdeutlichte, den er ja auch schon bei uns beim Expert/innenworkshop vorgestellt hatte. )
Wer definiere, was Bloggen sei? Die A-List-Blogs? Also die Blogs, welche die größte Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung von Blogs erhalten? Fest stehe: Was bloggen ist, werde ständig ausgehandelt. Resümierend meinte Jan Schmidt, dass es verschiedene Verallgemeinerungen gäbe, die von ganz unterschiedlichen Seiten gepflegt würden. Aber: „Will man das Bloggen ernst nehmen, muss man den Long Tail ernst nehmen.“Auf Jan Schmidts Vortrag bezieht sich als „altes“ Medium ein Artikel in Freitag. Aber auch unter Bloggern wird das Thema diskutiert. Thilo Baum macht sich Gedanken zum Long Tail und Andrea Diener blickt aus der Ferne auf die Re:publica und wird sentimental.

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Gleich im Anschluss fand sich die Diskussionsrunde zu „Leben im Netz? Leben wir im Netz oder tun wir nur so?“ ein. Hierauf war ich sehr gespannt gewesen, in der Ankündigung stand: „Soziale Netze, Second Life, Kontakte und Freunde ohne Ende – wie viel hat das Online-Leben mit dem echten zu tun? Ist unser Verhalten in den Communities ein Spiegel oder eine Neuerfindung unserer selbst?“. Einzig Don Dahlmann (vom Beruf Journalist und hier als Moderator) war mir vorher schon als Blogger vertraut gewesen. Sein Blog ist in der letzten Zeit journalistischer geworden, weniger privat, früher hat er sehr schöne, manchmal sentimentale, persönliche Geschichten geschrieben. Das weitere Panel bestand aus Silke Schippmann (XING, Senior Managerin im Bereich Community Management), Nicole Simon (European New/ Social Media specialist) und Matthias Oborski(schreibt beruflich für Blogs).Don Dahlmann fragte sogleich, wie es sich im Netz lebe? Darauf antworte Nicole Simon, ob man sich denn rechtfertigen müsse, wenn man online lebe? Sie habe damals schon mit BTX angefangen: „Das Netz ist ein Abkürzungsweg zu den Dingen, die mich wirklich interessieren“. Und auch Silke Schippmann bestätigte: „Ich muß mich zusammenreißen, nicht online zu gehen“. Die Grenze zwischen Freizeit und Beruf würde leicht verschwimmen. Aber dafür bekäme sie jetzt für etwas Geld, was ihr sowieso Freude bereite. Matthias Oborski schloss sich dem Grundtenor an: „Das Netz ist wie Sauerstoff“. Ohne Netz sei es für ihn, wie auf einem Abenteuerurlaub, ohne fließend Wasser. Es folgte eine Frage nach dem „Second Life“ von Dahlmann: Hype oder Nicht-Hype? Simon antwortete: „Jedes Medium hat eine andere Nutzergruppe“. Sie träfe dort andere Menschen als in Blogs. „Es ist anders als andere Spiele, ich muß mich nicht anstrengen, ich kann einfach sein.“ Second Life sei das erste Spiel in den virtuellen Welten, wo sie sagen könne, dass sie sich wohl fühle.

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Das Spannungsverhältnis von privater und beruflicher Zeit im Internet schnitt Dahlmann als nächstes an: Wenn man schon schon beruflich so viel im Internet sei, ob man dann noch unbedingt privat dort Zeit verbringen müsse. Oborski gab zu, er höre oft, dass er doch mal in der „echten“ Welt leben solle. Und Nicole Simon betonte: „So wie ich online bin, so bin ich auch in der realen Welt. Es gibt welche, die sind online anders sind, aber mit denen will ich nichts zu tun haben“. Die Aussage war schon deswegen interessant, da man später (nach einen Ausflug zu Trollen und Xing) wieder auf das Thema „Authentizität“ zurückkam und Matthias Oborski die Frage anstieß, ob das Netz einen zwänge, ehrlicher zu sein. Darauf antworte Simon, man sei abrufbarer geworden und deshalb überprüfbarer. Eine Fassade aufrecht zu erhalten, sei dauerhaft zu anstrengend. Auch Silke Schippmann bestätigte, dass – anders als in der Frühzeit des Internets – man nun authentischer sein müsse: „Wenn alles gespeichert wird, was geschrieben wurde, dann wird nach 5 Jahren noch rausgesucht, was der aktuellen Meinung widerspricht und gegen einen als Waffe genutzt werden kann.“ Don Dahlmann erzählte daraufhin, dass ihm das in seinem Blog genauso schon widerfahren sei. Minuten nachdem er sich selbst widersprochen habe, hätte er eine Mail samt Link zu einem früheren anders gemeinten Eintrag bekommen. Seine Frage ans Podium: „Ist das für euch eine Bremse und schreibt ihr deswegen Dinge nicht mehr rein?“. Oborski: „In der Zeit vor Google schrieb man ins Usenet was man wollte. Das kann man heute auch lesen: Ich poste kaum noch was privates und wenn dann so verschlüsselt, dass nur die, die dabei waren es verstehen.
Über die beiden Vorträge schreibt auch The Daily Mo .


Aktualisierte Version der Erstveröffentlichung auf http://tagwerke.twoday.net (Archive.org)

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