Bei der Re:publica in Berlin

Wenn Zeitungen über Weblogs berichten, steht dort oft, Weblogs seien Internettagebücher. Eine für mich wichtige Frage ist, ob diese Formulierung aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus gewählt wird, das neue technische Format zu beschreiben oder geschieht das mit Absicht, indem man das vermeintlich Laienhafte, Unprofessionelle betont. Noch haben Blogs hierzulande nicht die großen Öffentlichkeiten wie in den USA, noch wird der Wahlkampf hier nicht ebenso im Internet geführt, wie in Frankreich. Aber etwas ist im Wandel.


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Die Medien(r)evolution. Wie überholt sind die alten Medien, wie innovativ die neuen?
So das Thema der Gesprächsrunderunde. Der Raum war voll besetzt. Auf dem Podium saßen repräsentative Medienvertreter. Nicht ohne Grund, dass genau in dieser Diskussion für die Nachrichten gefilmt wurde (Nachtjournal, 13. April). Die Moderation hatte Tim Pritlove (u.a. Chaos Computer Club) übernommen. Er diskutierte mit Mercedes Bunz (Chefredakteurin vom Tagesspiegel Online), Jochen Wegner (Chefredakteur von FOCUS Online), Thomas Knüwer (Reporter in der Redaktion Handelsblatt) und Johnny Haeusler (Gründer von Spreeblick-Blog). Merces Bunz begann, in dem sie erzählte, dass ihre Wurzeln bei selbstproduzierten Fanzines lägen. Auf Papier, denn man hätte sich das Medium ausgesucht, was am besten passte. Jetzt arbeite sie online. Der Trend gehe hin zur Entwicklung von Blätter-Funktion für Online-Zeitungen, generell wäre Design gerade ganz wichtig. Dass, was früher „Quellen“ waren, die erst abtelefoniert werden mussten, wird heute durch Links ersetzt. Knüwer nahm das auf: „Die Nutzen von Links sind bei deutschen Journalisten noch heute unterbewertet.“ Es gäbe derzeit einen Umbruch in der Medienlandschaft, der emotional stark aufgeladen sei. Die einen wären Pro-Online, die anderen Contra-Online, mit der Forderung nach Solidarität, da sie ihr altes Arbeitsumfeld in Gefahr gebracht sähen. Unbestritten sei jedoch: „Das Internet ist das Nr.1-Schnellinformationsmedium“.


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Johnny Hauesler sagte daraufhin, dass es ein ganz anderes Schreiben sei. Man könne in Print keine Links setzen. Was dazu führe, dass viele Blog-Texte, in Print überführt, kaum lesbar wären. Diese Artikel würden nicht für sich alleine funktionieren. Es gäbe zudem große Vorurteile den Blog-Texten gegenüber, in der Art von: „Weblogs hab ich mal reingeguckt. Das versteh ich nicht. Die kennen sich alle, sind eine Comunity: da komm ich nicht rein.“ Was ja so nicht sei. Die meisten Blogger würden sich nicht kennen, außer über ihre Kommentare. Mehrere Spreeblick-Autoren waren zu diesem Zeitpunkt im Raum unterwegs und verteilten eine „einmalige“ (Haeusler) Print-Sonderausgabe von Spreeblick zur Re:publica.


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Moderator Pritlove wandte sich dewegen an Haeusler: : „Herr Haeusler – Sie sind ja jetzt im Printbusiness – ist Print die Zukunft von Online?“. Online könne man andere Dinge machen, so die Antwort. Und Bunz setzte nach. „Wie innovativ sind die alten Medien?“. Tim Pritlove bekannte, dass er ein Print-Agnostiker sei und warf die Frage auf, ob in Zukunft der Produzent alles sei, was übrig bliebe? Es gäbe keine Homepages mehr, nur noch die individuell gewünschte Information in Einzelteilen als RSS-Feeds. Dies führte zur großen Frage, ob man denn die Bloggerwelt überhaupt brauche.

  • Wegner: „Die Blogosphäre bezieht sich noch auf alte Medien.“
  • Häussler: Man könne auch nicht sagen, sie sei glaubwürdiger, denn „Glaubwürdigkeit ist ganz schwierig. Weil es mit Glauben zu tun hat. Du glaubst einer Quelle, weil du Erfahrungen mit ihr gesammelt hast. Das braucht Zeit. Ich kann irgendeiner Webseite nach 2-3 Wochen ebenso glauben wie dem FOCUS“
  • Knüwer: „Die schnelle Nachricht steht im Internet und die lange Nachricht im Print.“
  • Wegner: „Das ist ja Unsinn. Lang funktioniert. Das merkt man daran, weil man Texte ab einer bestimmten Größe zerteilen muss. Und die Leute lesen das.“
  • Knüwer: stimmte dem zu, aber dieses optimal rüberzubringen sei im Internet schwieriger.
  • Bunz: „Man liest mittlerweile Längerers im Internet. Da kann man nicht sagen: Print ist lang und Internet kurz und schnell.“

Abschießend: „Die Revolution liegt in der Demokratisierung der Produktionsmittel“. Sie gehe gegen niemanden und sei gleichzeitig ein Angriff gegen die traditionellen Medien.


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Der Empfänger als Sender. Der „Citizen Journalism“ lässt die Redaktion rotieren, doch bewegt er auch die Bürger?
Die Reihen im Saal lichteten sich etwas, denn nun wurde die Kehrseite der Medaille diskutiert. Das heißt, nicht nur „Die Medien“ reagieren auf die Veränderungen im Internet, auch die User (die nun in Web 2.0 all den Content generieren) ändern bzw. erweitern ihre Inhalte. So wird das Bild der „offiziellen“ Medien durch private lokale Berichterstattung von Blogs und lokalen Plattformen ergänzt. Und in Fällen, wie bei Schließungen von Lokalzeitungen, vielleicht in Zukunft sogar ersetzt.
Falk Lüke moderierte das Panel, auf seiner rechten Seiten saßen Katharina Borchert(WestEins,Lyssas Lounge) und Jörg Kantel (Schockwellenreiter), zu seiner Linken Jens Matheuszik (Pottblog) und Hugo E. Martin (Readers Edition).

Citizen Journalismus (oder auch: Graswurzel Journalismus) sei nur dann wirklich möglich, so Jörg Kantel, wenn dem Bürger das Medium auch gehöre. Ein mögliches Projekt, die Readers Edition, wurde vertreten durch Hugo E. Martin, diese käme der Idee des Citizen Journalismus ziemlich nahe. Obwohl sich kein Schreiber auf der Plattform als Citizen Journalist bezeichnen würde, so Martin, es gehe eher um „Veröffentlichungen allgemein von Jedermann“. Als Blog-Beispiel saß Blogger Jens Matheuszik am Tisch. Auf die Frage, seit wann er denn Citizen Journalist sei, antwortete er: „Erst seitdem ich dafür eingeladen worden bin, ich war bisher nur Blogger.“ Falk Lüke erklärte, dass auf Pottblog regional politische Themen aufgegriffen worden seien, beispielsweise die Kommunardisierung der Sparkassen. Katharina Borchert, ehemals aktive Bloggerin (seit sie für die WAZ-Gruppe arbeitet, wurden die Einträge auf ihrem Blog spärlicher) sagte, dass man in Blogs Dinge aufgreifen kann, die in der regionalen Berichterstattung zu kurz kämen. Kantel antwortet, dass diese Aufgabe urpsrünglich von einer regionalen Lokalzeitung wahrgenommen wurde, bis diese aber aus Profitgründen (hier mehr dazu) geschlossen wurde. Manche Orte, wie auch Neu-Köln in Berlin, fänden einfach nicht mehr in den Medien statt. Borchert: „Es hat immer Themen gegeben, die in den Zeitungen nicht stattgefunden haben.“ Der Erfolg von Lokalzeitungen sei möglich, so Matheuszik, allein in Queens gäbe es 55 lokale Zeitungen.


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Jörg Kantel plädierte gegen Plattformen, sondern es wäre wichtiger, vorhandene Blogs thematisch zu vernetzen. Katharina Borchert, die z.Z. an einer Blog-Plattform bei Westeins arbeitet, fragte, was dagehgen spräche, wenn ein Verlag das machen würde? Kantel: „Es spricht die Redaktion dagegen und die Schere im Kopf“. Hugo E. Martin verwies in den Zusammenhang auf ein Projekt aus den USA, so genannte Place-Blogs, allein 400 Blogs aus Deutschland gehörten dazu.

Zuletzt kam dann doch noch die Frage auf, was denn der Unterschied zwischen Blogs und Citizen Journalismus sei.

  • Kantel: „Ein Blog ist ein CMS. Was ein erfolgreiches Blog ausmacht, ist der Autor, der dahinter steht. Mit Blogs und Bloggen kann man andere Sachen machen als der klassische Journalismus.“
  • Matheuszik: „Im Blog kann ich schreiben, was ich will. Die ‚Readers Edition‘ interessiert es nicht, wie ich beispielsweise einen Streifzug durch Möbelgeschäfte beschreibe.“
  • Kantel: der Besitz der Produktionsmittel sei von Bedeutung. Neu daran sei, dass es billig wäre. Das Neue sei der Vertriebsweg, das Netz sei kein Massenmedium. „Das Netz nimmt es mir nicht übel, wenn ich für 80 schreibe, für 8 oder für die Oma in Amerika.“

Ausblick: In Zukunft würden Formen wie Pod-/Vodcasting sowie Moblogging noch viel wichtiger werden

Mehr zu den beiden Diskussionen auch bei heise online.



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